Freitag, 18. Februar 2011

Kommentar zu: 'Souveränität wichtiger als Menschenrechtskonventionen'

Das Englische Unterhaus hat sich also entschieden, sich der Weisung des EU-Menschenrechtsgerichthofes zu widersetzen und Häftlingen nach wie vor das Wahlrecht vorzuentziehen. Diese Diskrepanz zwischen London und Brüssel zeigt eines der großen Defizite der EU auf. Europa ist in vielerlei Hinsicht einer der kulturell reichsten Gebiete dieser Erde und auch wenn wir uns wohl alle in den meisten grundsätzlichen Dingen einig sind, blitzen bei solchen Geschichten immer wieder Differenzen in den verschiedenen Weltanschauungen auf, die sich nicht ohne weiteres wegdiskutieren lassen. Und Menschenrechte sind definitiv ein Knackpunkt.

Es wäre nun einfach zu sagen, die Britten missachten die Menschenrechte oder schätzen sie nicht so hoch ein, wie der Rest Europas. Aber so einfach ist die Sachlage nicht. Es gibt in Europa viele Länder mit einer - nennen wir es sozialdemokratischen - Tradition, die in guter Absicht den Menschenrechtskatalog immer weiter ausbaut. Man erstellt ein Verzeichniss von normativ guten Grundrechten die man für besonders wichtig erachtet und labelt die dann mit dem Begriff 'Menschenrechte'. Und dann gibts eine andere Tradition, die ich als 'liberal' bezeichnen möchte und der ich mich selber auch zuschreibe. Diese Tradition macht eine scharfe Trennung zwischen Grundrechten und Menschenrechte. Für uns sind zwar alle Menschenrechte Grundrechte, aber nicht jedes Grundrecht auch ein Menschenrecht.

Menschenrechte sind Rechte, die jeder Mensch in diesem Universum unabhängig von jedem Staat hat. Es sind ihrer nicht viele, aber der Mensch hatte sie schon im Naturzustand und sie können ihm nie aberkannt werden und er darf sie auch in jedem Fall ausüben zur Not auch gegen die Rechtsstaatlichkeit. Darum kann auch keine Institution neue Menschenrechte erschaffen. Jegliche Dokumente, die Menschenrechte festhalten sind rein deskriptiv und sollte dem Katalog der Menschenrechte je ein neues Recht hinzugefügt werden können, dann durch Philosophen, die ein neues Recht entdecken und nicht durch Juristen, die ein neues erschaffen.

Grundrechte dagegen entstehen erst durch den Gesellschaftsvertrag. Sie sind wenn man so will die Gegenleistung, die ein Mensch dafür erhält, dass er besagtem Gesellschaftsvertrag zustimmt. Gute Gesellschaftsvertragschliesser nehmen die Menschenrechte natürlich in irgendeiner Form in diesen Grundrechtskatalog auf, um zu verhindern, dass die Menschen gezwungen sein könnten, diese Rechte gegen die Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Diese Grundrechte sind natürlich auch sehr hoch einzuschätzen. Die Stabilität und Glaubwürdigkeit eines ganzen Staateshängt letztlich daran, dass diese Grundrechte eingehalten werden. Aber diese Grundrechte sind nicht Gott gegeben und können von Gesellschaft zu Gesellschaft variieren. Wenn der Gesellschaftsvertrag von der einen Gesellschaft demokratische Partizipationsrechte für Häftlinge garantiert, heisst das nicht automatisch, dass dies auch für jede andere Gesellschaft gelten muss. Und mal ehrlich: Wenn man so tief in die Persönlichkeitsrechte von einem Menschen eingreifen darf und ihn einsperren darf (eine Sache, die ich bei Gelegenheit noch genauer untersuchen möchte), dann ist der entzug von Wahlrecht doch eher eine unbedeutende Strafverschärfung.

Wie auch immer, wie die Wahlbeteiligung überall in Europa aussieht, brauchen demokratische Staaten jede Stimme die sie nur irgendwie bekommen können. Es ist so gesehen eigentlich pure Dummheit, einer Gruppe von Menschen, die durchaus Zeit hätte, sich mit politischen Fragen zu beschäftigen, das Stimmrecht zu verweigern. Aber das Recht, dumme Dinge zu tun ist wohl ein Menschenrecht.



Donnerstag, 28. Oktober 2010

Religionsfreiheit und die Freiheit von der Religion

Letztens habe ich mich mit der Religionsfreiheit und dem Minarettverbot in der Schweiz beschäftigt. Es scheint in der Schweiz, ja in ganz Europa Stimmen zu geben, die diesen Satz in unserer Verfassung deshalb - und nur deshalb - verurteilen, weil er gegen die Religionsfreiheit verstoßen würde.

Aber impliziert diese Auslegung von Religionsfreiheit nicht, dass wer an ein höheres Wesen glaubt per se mehr Rechte - und mehr Recht - haben soll, als jemand der dies nicht tut? Aus meiner Sicht: Ja.

Wenn ein paar Menschen im Appenzell ohne Kleider wandern wollen und es ihnen verboten wird, wird keiner auf die Idee kommen, sie zu verteidigen. Wenn aber andere Menschen in der Schweiz Minarette bauen wollen, und man es ihnen verbietet, regt sich ganz Europa auf. Dabei haben der Nacktwanderer und der Minarettbauer genau die gleichen Motive für ihre Tat. Sie glauben nämlich beide, dass sie ihrer Psyche, ihrer Seele dadurch etwas gutes tun. Der einzige Unterschied ist im Endeffekt, dass der Minarettbauer sich bei seiner Tat noch zusätzlich auf ein fiktives Wesen und auf eine Jahrhunderte alte Tradition beruft.

Die Tradition darf aber kein Argument sein. Wenn man Gesetze schafft, sollte man sich auf das hier und jetzt beziehen. Traditionen gehen unter und schaffen Platz für neue, dass ist der Lauf der Zeit und gerade beim Baurecht in der Schweiz ist wohl Nacktwandern wirklich besser für die Psyche, als Minarette bauen. Und selbst wenn man auf dem Traditionsargument beharrt, so könnte sich auch der Nacktwanderer darauf berufen, das der Homo Sapiens wohl länger unbekleidet durch die Wälder der Urzeit gestreift ist, als bekleidet.

Ein fiktives Wesen, d.h. ein Wesen, für dessen Existenz es außerhalb der Literatur keine Belege gibt, kann auch kein gültiges Argument sein. Stellen sie sich vor, ich würde behaupten, ich würde mit 150 über die Autobahn rasen und würde behaupten, ich tue dies, weil Wilhelm Tell es mir aufgetragen hat. Im besten Fall lacht man mich aus, im schlimmsten Lande ich in psychiatrischer Behandlung (oder umgekehrt). Aber wenn mich schon der Schweizer Nationalheld nicht berechtigt, mich Gesetzen zu widersetzen, die mir nicht gefallen, welche Figur sollte es dann können.

Verstehen sie mich nicht falsch. Ich will hier nicht das Minarettverbot verteidigen. Ich wehre mich lediglich gegen die Argumentation, dass das Recht Minarette zu bauen ein Recht ist, dass besonderen Vorrang haben sollte Aufgrund seiner religiösen Natur. Jeder, der der Ansicht ist, dass der Bau eines Minarettes seiner Seele gut tut, sollte auf seinem Land und unter Berücksichtigung der Feuerwehrpolizeilichen Auflagen das Recht haben, eines zu bauen, völlig unabhängig davon, ob er an Allah oder Wilhelm Tell glaubt. Und in genau der gleichen Weise sollte auch jeder das Recht haben, nackt im Appenzell zu wandern, völlig unabhängig davon, ob er an den Osterhasen oder Superman glaubt. Religion sollte nicht das Argument sein, sondern das generelle Recht aller Menschen, alle Dinge zu tun, die nicht Aufgrund rational nachvollziehbarer Notwendigkeit verboten gehören. Erreicht man es, dass dieses Recht durchgesetzt wird, ist die Religionsfreiheit zum einen tatsächlich realisiert und zum anderen obsolet geworden.




Samstag, 7. August 2010

"Auslagerung müsste strafbar gemacht werden."

Heute möchte ich eine Initiative vom anderen Ende des politischen Spektrums unter die Lupe nehmen. Anlässlich der Finanzmarktkrise versucht auch die SP und die JuSo politisches Kapital mit einer Initiative zu schlagen. Unter dem Titel ‚1:12 – Gemeinsam für gerechte Löhne’ lancierte die Juso bereits im Oktober letztes Jahres eine neue Initiative. Danach sollen die Gehaltsunterschiede innerhalb eines Unternehmens auf den Faktor 12 beschränkt werden.

Soweit erscheint die Initiative einfach nur als ein Angriff auf die Vertragsfreiheit, welche man im linken politischen Spektrum immer mal wieder gern macht, um im Gespräch zu bleiben. Keiner kann schließlich behaupten, dass meine Vertragsfreiheit nicht eingeschränkt wird, wenn ich nicht mehr jeden beliebigen Lohn zahlen darf, wenn ich jemanden einstelle. Bestenfalls resultieren solche Übungen meist darin, dass man einen Haufen Papier und Arbeitskraft für die Unterschriftensammlung verschwendet und dann wiederum viel Papier und Arbeitskraft für die Abstimmung und die Geschichte dann bachab geht. Schlimmstenfalls wird die Initiative angenommen und wir bauen die Bürokratie weiter aus, die Unternehmen finden aber Mittel und Wege um die Initiative zu umgehen und der Schaden an der Schweizer Wirtschaft bleibt überschaubar. Aber dann hängt die JuSo eine Erklärung an ihre Initiative an, unter dem Titel ‚Fakten und Irrtümer’ (http://www.juso.ch/files/Unterschriftenbogen_1-zu-12_de.pdf S. 2, 7.8.2010) und sagt dabei einige Dinge, die einem wirklich zum nachdenken anregen sollten.

Die 1:12-Initiative schafft gerechte Löhne.
Die 1:12-Initiative will, dass niemand in einem Jahr weniger verdient als der bestbezahlte Manager im gleichen Unternehmen in einem Monat . Sie will deshalb in der Verfassung verankern, dass der tiefste Lohn in einem Unternehmen nicht mehr als zwölf Mal tiefer als der höchste sein darf. Dadurch wird verhindert, dass sich Abzocker-Manager immer mehr vom Kuchen unter den Nagel reissen und allen anderen Mitarbeiter/innen nur Brosamen bleiben. Mit der 1:12-Initiative werden den Manager-Gehältern Schranken gesetzt, damit die Löhne aller wieder steigen.


Kuchen klingt immer gut, vor allem dann, wenn es darum geht, etwas zu verteilen. Aber ein Unternehmen funktioniert nun einmal nicht wie eine große Bäckerei. Es ist normalerweise nicht so, dass alle Angestellten zusammen einen Kuchen backen und den dann Ende Jahr untereinander aufteilen. Natürlich kann und könnte man Unternehmen so gestalten. Nur in diesem Fall müssten die Angestellten auch hinnehmen, dass es in manchen Jahren nur trocken Brot anstatt Kuchen gibt und nicht nur die Gewinne, sondern auch die Verluste mittragen. Natürlich können das nicht alle. Sogar sehr viele können das nicht. Spätestens wenn man eine Familie zu versorgen hat (oder zumindest mitzuversorgen hat) braucht man ein geregeltes Einkommen, welches unabhängig vom Geschäftsergebnis des Unternehmens reinkommt. Darum verkauft man seine Arbeitskraft zu einem festen Betrag. Man bringt seine Arbeit in den Kuchen ein, und tritt für Geld das Recht an möglichen Kuchenstücken ab. Wer dies aber nicht will, kann jederzeit seinen eigenen Kuchen backen, zumindest heute – aber mehr dazu später. Ich will darauf hinaus, dass, weil dieser Kuchen nicht den Angestellten gehört, diese auch nicht mehr davon sehen werden, wenn er größer wird.

Wieso das gerade das Verhältnis 1:12 so gerecht sein soll erwähnt die JuSo allerdings in keinem Wort. Wenn es wirklich so wäre, dann müsste sich die JuSo auch dafür einsetzen, dass die Steuern auch höchstens diese Spanne aufweisen dürfen. Immerhin ist der Staatshaushalt auch nichts weiter als ein riesiger Kuchen. Wenn es ungerecht ist, dass manche in einem Jahr weniger verdienen wie andere in einem Monat, dann ist es auch ungerecht, dass manche in einem Monat mehr für diesen Kuchen leisten sollen als andere in einem Jahr.
Die 1:12-Initiative stoppt Abzocker.
Trotz der Krise: Die Abzocker-Manager zahlen sich unver- schämte Saläre und Millionen-Boni aus. Im Schnitt verdient ein Manager heute 4 Millionen oder 56 Mal mal [!] mehr als ein/e normale/r Schweizer Arbeitnehmer/in!1 Dafür gehen sie erneut unverantwortliche Risiken ein, für die wir dann mit tieferen Löhnen, unseren Jobs oder unseren Steuern gerade stehen müssen. Die 1:12-Initiative schiebt hier einen Riegel.


Ja, Manager gehen vor allem darum unverantwortliche Risiken ein, weil sie 56 ‚Mal mal mehr als ein/e normale/r Schweizer Arbeitnehmer/in!’ verdienen. Und sie werden sofort aufhören das zu tun, wenn sie weniger verdienen. Das ist doch sonnenklar. Wie nur konnten wir alle diese einfache Lösung übersehen haben.

Ernsthaft: Ja, es gab gewisse Formen von Boni-Zahlungen – überwiegend in den USA – die tatsächlich etwas mit der Finanzkrise zu tun hatten. US-Banken hatten Hypothekenbereich mit vielen Mitarbeitern Verträge auf Boni-Basis. Kaum ein Grundgehalt, aber hohe Erfolgsprämien. Als Erfolg galt ein abgeschlossener Kreditvertrag. Die logische Folge war, dass die Mitarbeiter kaum mehr ein Interesse hatten, Kredite genau zu prüfen und vergaben sie relativ sorglos. Dies war einer von mehreren Faktoren, welche schließlich zu Immobilienkrise führt. Mit wiederum anderen Faktoren führte diese schließlich zur Finanzkrise. Diese Boni aber blieben allesamt im fünfstelligen oder niedrigen sechsstelligen bereich, würden also nicht unter diese Initiative fallen. Spitzenmanager indes gehen Risiken ein, weil sie letztlich keine Option haben. Stillstand funktioniert in der heutigen Zeit nicht als Strategie, aber jede Änderung ist ein Risiko. Das klingt wie eine hohle Phrase, aber die JuSo tut hier gerade so, als ob jeder andere auf der Welt die Finanzkrise kommen sah und die UBS als einzige Geld dabei verloren hätte.

Ach ja, noch was: Ich bin ein ‚Schweizer Arbeitnehmer’ und verdiene nicht genau 71'428,57 Franken im Jahr. Offensichtlich bin ich nicht ‚normal’. Liebe JuSo, an welche Ärzte soll ich mich wenden?

Die 1:12-Initiative lässt das Volk über die Spielregeln entscheiden.
Heute entscheiden die Abzocker alleine über die Löhne – und berücksichtigen dabei nur ihr eigenes Portemonnaie. Alle anderen müssen tatenlos zu sehen und die Folgen ausbaden. Das ändert die 1:12-Initiative. Sie gibt dem Volk wieder das letzte Wort, um für faire Spielregeln zu sorgen.


Ich hab noch nie einen Abzocker allein über die Löhne entscheiden sehen. Hätte ich aber müssen, denn alle tun das. Aber selbst wenn ich einen Abzocker allein über die Löhne entscheiden sehen würde, müsste ich auch nach der 1:12 initiative noch tatenlos zusehen wie er es macht. Die Initiative gibt mir ja nicht eine Handelsbefugnis gegen jene Abzocker. Wenn man dagegen die Initiative selbst als eine Art Einschreiten in den Prozess des ‚Über-Löhne-Entscheidens’ sieht, dann ist das Argument irgendwie hinfällig. In diesem Licht ‚musste’ ich nie tatenlos zusehen, sondern konnte immer schon eine Initiative dagegen lancieren. Jede Initiative erlaubt es dem Volk über Spielregeln zu entscheiden, ob es nun um Minarette oder um Löhne geht. Bleibt nur zu sagen: Drei Punkte Abzug für Gryfindor wegen redundantem Argument. Damit von den ‚Fakten’ zu den Irrtümern.

Irrtum I: Die grossen Multis verlagern ihre Standorte ins Ausland.
Die Standortfrage ist bloss Erpressung der Abzocker, damit alles in ihrem Sinne bleibt und das Volk nicht für faire Spielregeln sorgen kann. Denn die 1:12-Initiative fordert nur eine maximale Lohnspanne. Der Erfolg eines Unternehmens wird nicht beeinträchtigt. Es wird weder die Produktion verteuert, noch das Management erschwert. Im Gegenteil: Zu hohe Löhne für Manager schmälern die Unternehmensleistung, weil sie falsche Anreize setzen und das Unternehmensklima beeinträchtigen.


Ein schönes Beispiel dafür, wie man sich selbst innerhalb von drei Sätzen widersprechen kann: Zuerst wird der Erfolg nicht beeinträchtigt und dann wird er positiv beeinträchtigt. Natürlich wird das Management erschwert dadurch, dass man nur einen virtuellen Maximallohn hat den man Zahlen kann und einen virtuellen Minimallohn. Das ist etwa so, als würde man behaupten, es sei beim Poker kein Vorteil, wenn man Chipleader ist. Man hat, wenn es darum geht gute Leute in die eigene Firma zu holen durch eine solche Bestimmung gleich zwei Nachteile. Erstens kann ich im internationalen Wettbewerb nur bis zu einem bestimmten Grad mitgehen. Wenn es dann zweitens aber darum geht den Lohn zu verhandeln, dann weiß der andere, wie viel ich ihm maximal zahlen kann und wird sich wohl kaum mit weniger zufrieden geben.

Ob es für das Unternehmensklima wirklich einen unterschied macht, ob der Chef 12-mal so viel oder 56-mal so viel verdient ist fraglich. Neid ist eine Frage von ‚mehr oder nicht mehr’ und nicht von ‚wie viel mehr’. Und ob man mit Boni falsche Anreize setzt ist auch wiederum eher eine Frage davon, wofür man die Boni gibt und nicht, wie hoch die dann letztlich sind. Im Zweifel wird also durchaus der eine oder andere Multi sich ins Ausland verabschieden, zumindest die, die keine andere Möglichkeit finden, diese Regel auszuhebeln, aber dazu später.

Irrtum II: Die 1:12-Initiative ist aufwendig umzusetzen.
Sicher nicht! Die Unternehmen können z.B. verpflichtet werden, die Löhne mit der Steuererklärung, dem Jahresbericht oder der Buchprüfung offen zu legen. So müsste auch keine neue Behörde geschaffen werden.


Und weil man keine neue Behörde braucht, sondern nur sämtliche ausbezahlten Löhne (und dazu geleistete Arbeitsstunden) von allen Mitarbeitern (bis hin zum Praktikanten, der in irgendeiner Filiale nach einer halben Woche hingeschmissen hat) zusammen mit der Steuererklärung einreichen muss, ist die Initiative also nicht Aufwändig. Es sind diese Momente, die mich daran erinnern, wieso ich ein Liberaler geworden bin. Ganz egal wie viele Gesetze, Verordnungen und Formulare man erfolgreich abschafft, es werden trotzdem immer mehr, denn Links fängt man schon Jung an, derlei Dinge als erstrebenswert anzupreisen.

Irrtum 3: Die 1:12-Initiative wird umgangen, weil Unternehmen einfach
Mitarbeiter/innen auslagern.
So einfach ist das nicht. Erstens muss das Parlament – wird die 1:12-Initiative vom Volk angenommen – ein Gesetz zur Umsetzung verabschieden. Auslagerungen um 1:12 zu verhindern müssten darin strafbar gemacht werden. Zweitens sprechen wir von Unternehmen und nicht von einer schon definierten juristischen Person. Scheinselbstständige sowie Beschäftigte in dauernden Auftragsverhältnissen oder Management-Gesellschaften gehören genauso zu einem Unternehmen wie „normale“ Arbeitnehmer/innen. Drittens sind Auslagerungen Grenzen gesetzt, wenn sie ineffizient werden. Ein Sekretär z.B. ist schwierig auszulagern.


Eigentlich ist es so einfach. Man muss lediglich eine Firma Gründen, welche alle Anstellt, die mehr als das 12-Fache vom Niedrigstlohn verdienen. Dann gibt man dieser Firma einen Beratungsauftrag für die eigene Firma und überschreibt die entsprechende Summe einfach als Bezahlung für Dienstleistungen. Diese andere Firma zahlt dann die 12 mal höheren Löhne. Und hier kommt der schockierende Satz der JuSo, die mich zum Schluß führt, dass diese Initiative eigentlich einen drastischen Einschnitt in die unternehmerische Freiheit darstellt. Auslagerungen [...] müssten [...] strafbar gemacht werden. Was genau wollen die nun da strafbar machen? Das Gründen eines neuen Unternehmens? Das Unternehmen Dinge tun im Auftrag anderer Unternehmen? Das Menschen für mehr als ein Unternehmen gleichzeitig arbeiten? Vermutlich soll das dann auch die Behörde überwachen, die bei Irrtum II nicht geschaffen wurde. Im Ernst: Man kann nicht einfach eine Initiative machen und sagen: ‚Ach ja, falls das Volk sie annimmt, möchten wir, dass die freie Marktwirtschaft abgeschafft wird, weil sonst könnte man Mittel und Wege finden uns zu umgehen. Aber wir möchten lieber nicht in den Initiativtext schreiben, dass wir die freie Marktwirtschaft abschaffen wollen. Wäre uns dann doch etwas zu Heikel.’ Das ist einfach keine ehrliche Art zu politisieren.

Aber nicht nur deshalb ist diese Initiative auf jeden Fall zu bekämpfen. Sie fußt auf dem Neid der Menschen. Sie ist der Samen einer Mentalität die uns weg von der Unabhängigkeit des Individuums hin zur Unmündigkeit führt. Die Gesellschaft hat viele Möglichkeiten sich gegen ungerechte Löhne zu wehren, auch ohne dass der Staat eingreift. Wenn es einem Bürger wirklich ein Bedürfnis ist, sich gegen zu hohe Managerlöhne zu wehren, dann kann er diese Firma boykottieren. Tun das genug Leute und machen sie auch klar, dass dies wegen den Managerlöhnen geschieht, werden sie etwas bewegen können. Das ist auch viel billiger als eine (oder gar mehrere) Initiativen zu lancieren.

Mittwoch, 4. August 2010

Können Wahlen undemokratisch sein?

Seit gut sechs Monaten läuft die Unterschriftensammlung zur Initiative der SVP für Bundesratswahl durch das Volk. Wenige Monate vor den Nationalratswahlen 2011 wird sie wohl für gültig befunden werden. Mit Sicherheit wird die SVP dies für den Schlussspurt des Wahlkampfes nutzen. Sie wird betonen, wie sehr sie sich für die demokratische Tradition der Schweiz einsetzt und damit bestimmt den einen oder anderen Wähler für sich begeistern können.

Aber ist diese Initiative wirklich förderlich für die Demokratie? Um dies zu entscheiden muss man das vorgeschlagene Wahlverfahren kennen. Immerhin gab und gibt es viele historische Beispiele, für Systeme die zwar Wahlen abhielten, aber keineswegs als Demokratisch gelten können. Beispielsweise kannte das faschistische Italien ein Wahlsystem, bei welchem einfach der stärksten Partei automatisch die absolute Mehrheit im Parlament zugeschrieben wurde. So konnte eine Partei mit vielleicht 25-30% der Stimmen ohne jede Hilfe und ohne Notwendigkeit von Kompromissen das Land regieren. Betrachten wir also was und der Initiativtext zum Wahlverfahren sagt:
Art. 175 Abs. 2-7
2 Die Mitglieder des Bundesrates werden vom Volk in direkter Wahl nach dem Grundsatz des Majorzes gewählt. Sie werden aus allen Schweizerbürgerinnen und Schweizerbürgern gewählt, die als Mitglieder des Nationalrates wählbar sind.
3 Die Gesamterneuerung des Bundesrates findet alle vier Jahre gleichzeitig mit der Wahl des Nationalrates statt. Bei einer Vakanz findet eine Ersatzwahl statt.
4 Die gesamte Schweiz bildet einen Wahlkreis. Gewählt ist im ersten Wahlgang, wer das absolute Mehr der gültigen Stimmen erreicht. Dieses berechnet sich wie folgt: Die Gesamtzahl der gültigen Kandidatenstimmen wird durch die Zahl der zu wählenden Mitglieder des Bundesrates geteilt und das Ergebnis halbiert; die nächsthöhere ganze Zahl ist das absolute Mehr. (http://www.volkswahl.ch/initiative.html; 4.8.2010)

Es funktioniert also so, dass jeder Bürger im Prinzip sieben Namen auf eine Liste schreibt und wer auf mindestens der Hälfte dieser Listen steht ist Bundesrat. Das ist sicher demokratisch, immerhin wird so niemand Bundesrat, der nicht mindestens von der Mehrheit für dieses Amt gewünscht wird. Nur ist es fraglich, wo man in der Schweiz Leute finden will, die – bei freier Wahl der Person – bei einer Mehrheit der Leute auf einer Liste landen kann. Insbesondere Parteien wie die SVP oder ich die SP, die hochgradig Polarisierend wirken dürften es schwer haben, überhaupt Leute zu finden, die nicht bei über 50% der Wahlberechtigten eh keine Chance haben, die Stimme zu erhalten. Aber auch die Mitteparteien werden nicht ohne weiteres Leute auf diesem Weg in den Bundesrat bekommen. Didier Burkhalter war vor 2009 sicherlich nicht annähernd der Hälfte der Schweizer Wahlberechtigten überhaupt ein Begriff, geschweige den, dass sie ihn gewählt hätten. So scheint es denn, als ob dieser erste Wahlgang im Normalfall immer Resultatlos enden wird, es sei denn, eine der Parteien stellt irgendwie Roger Federer oder Didier Cuche auf oder investiert Unsummen in einen Landesweiten Wahlkampf. So kommt es dann ziemlich sicher zum zweiten Wahlgang, noch bevor überhaupt ein Bundesratssitz vergeben ist.
[...]Haben nicht genügend Kandidierende im ersten Wahlgang das absolute Mehr erreicht, so findet ein zweiter Wahlgang statt. Im zweiten Wahlgang entscheidet das einfache Mehr. Bei Stimmengleichheit wird das Los gezogen.

Hier im zweiten Wahlgang also wird das Prinzip des absoluten Mehrs ausgehebelt. Dadurch sind die polarisierenden Parteien plötzlich drastisch stärker. Wenn es einer Partei gelingt, ihre Klientel auf sieben bestimmte Namen einzuschwören, ist es ihr sogar möglich, alle sieben Bundesratssitze zu besetzen. Und wenn man dann bedenkt, dass die Wählerstärkste Partei der Schweiz sich wie keine andere darauf versteht, alle ihre Leute auf Linie zu halten und darüber hinaus auch über die Mittel und den Willen verfügt, sieben potentielle Bundesräte auf genau diese beschriebene Weise aufzubauen, muss man wohl eingestehen dass eine solche Minderheitsregierung nicht nur möglich sondern auch recht wahrscheinlich wird.

Von diesem Blickwinkel aus kann diese Initiative also nur als ein direkter Angriff auf die demokratischen Grundprinzipien unseres Landes erscheinen. Es hat nichts mit Demokratie zu tun, wenn eine Partei, welche vielleicht 30% der Wähler vertritt 100% der Exekutiven Gewalt inne hat. Als ein Liberaler, der unsere Demokratie als die wichtigste Grundvoraussetzung der individuellen Freiheit in unserem Land anerkennt kann ich daher nur dazu aufrufen, bereits jetzt die Diskussion in die Bevölkerung zu tragen, bereits jetzt die Argumente gegen diese Initiative zusammenzutragen und zu differenzieren, bereits jetzt über einen Gegenvorschlag nachzudenken, damit eine (durchaus sinnvolle) Strukturreform im Bundesrat nicht solch verheerende Ausmaße annimmt, wie es die SVP gerne hätte.

Dienstag, 3. August 2010

Was ist ein Liberaler?

Der Begriff 'Liberaler' hat in den letzten Jahren schwere Zeiten durchlebt. Er ist zu einem regelrechten Schimpfwort verkommen, zu einem Synonym für Wirtschaftskrise, gierige Manager, Privatisierung und Sozialabbau. Wie kann ein vernünftiger Mensch sich mit gutem Gewissen noch liberal nennen?

Alle Menschen sind mit gleichen Rechten geboren. Auf diesem einfachen Satz basieren nicht nur der Liberalismus, sondern auch die meisten anderen modernen politische Theorien. Aus diesen gleichen Rechten resultiert, dass keiner de nature Macht über einen anderen hat oder haben darf. Jegliches Herrschaftsverhältnis (so es den gerecht sein soll) in einer Gesellschaft basiert also auf Vertrag und gegenseitigem Einvernehmen. Da es aber nicht praktikabel ist, mit jedem Bürger im Staat einzeln einen Vertrag auszuhandeln, muss der Gesetzgeber von kollektivem Einverständnis ausgehen, bei dem was er tut. Er muss also darauf bedacht seine, die Gesetze so zu gestallten, dass nach Möglichkeit jeder es vorziehen muss, in einem Staat zu leben, in dem es diese Gesetze gibt, als in einem Staat, in welchem es diese Gesetze nicht gibt. Und dies auch dann, wenn die Zustimmung nicht hinter Rawls Veil of Ignorance stattfindet. So zum Beispiel würde selbst ein Mörder wohl zustimmen, dass ein Mord an und für sich nicht von der Gesellschaft toleriert werden kann, da er sonst fürchten müsste, selbst Opfer zu werden (z.B. durch Lynchjustitz). Da es relativ schwer ist, festzulegen, wann ein Gesetz einen solchen Status verdient, wird der Liberale generell eher sparsam mit Gesetzen umgehen und nur da welche schaffen wollen, wo die Gesellschaft versagt, essentielle Probleme nicht selber lösen kann.

Daraus folgt, dass der Liberale auch ein Interesse daran hat, Probleme in der Gesellschaft zu lösen, da er sonst der Regierung erlauben muss, einzugreifen (was er ja seiner Skeptik gegenüber Gesetzen nach nicht will). Somit ist Eigenverantwortung ein wichtiger Eckpfeiler des liberalen Denkens. Eigenverantwortung heißt hier natürlich auch, dass man sich freiwillig nach Möglichkeit für das Gemeinwohl einsetzt und man dort hilft, wo Menschen unverschuldet in eine Notsituation gelangen.

Unter diesem Aspekt ist Liberalismus vielleicht sogar sozialer als Sozialdemokratie. Es hat reichlich wenig mit Solidarität zu tun, wenn ich (unter Androhung von Strafen) Steuern zahle und der Staat die dann an Bedürftige weiterverteilt. Wenn ich dagegen freiwillig meinem Nachbarn helfe, wenn er in Not ist, in bei mir Bewirte und ihm helfe, nach einem Unglück wieder auf die Beine zu kommen, tue ich wirklich etwas für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Aber wir tun diese Dinge viel zu selten. Es ist gerade so, als hätte uns der Sozialstaat asozial gemacht. Wenn wir menschliches Leid sehen können wir wegschauen, im Wissen, dass der Person mit meinen Steuergeldern ja geholfen wird. Das soll nicht heißen, dass wir den Sozialstaat aufgeben müssen. Aber vielleicht sollten wir uns dieses Effekts besser bewusst werden, als einen ersten Schritt in Richtung mehr Solidarität in der Gesellschaft zu schaffen, auch ohne staatliche Intervention. Und wir brauchen diesen Zusammenhalt um die Probleme zu meistern, die vor uns liegen.

So, was ist ein Liberaler? Ein Mensch, der dem Staat skeptisch gegenüber steht, nur die allernötigsten Gesetze befürwortet, aber bei Problemen für das Gemeinwohl einsteht und dabei auf die Kraft der Gesellschaft und auf seine eigenen Fähigkeiten baut. So ist es dann doch wieder leicht, sich guten Gewissens liberal zu nennen.